Lesetipp:
Meute mit Meinung
Autor A.Frank
echnologie ist ein großer Gleichmacher. Indem die neuen Medien kommunikative Einbahnstraßen in Dialoge verwandelt haben, ist auch das alte Machtgefälle abgetragen worden – zwischen jenen, die die Mittel und Wege haben, zu senden und jenen, die gezwungen sind, zuzuhören, ohne eine Möglichkeit der Erwiderung zu haben. Heute sitzen alle am Drücker: Jeder ist theoretisch mit jedem verbunden. Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Weil im Internet jeder senden kann, so viel und wann er möchte, ist ein unendlicher Kommunikationsstrom entstanden. Der Leser gibt sich längst nicht mehr mit seiner Rolle als passiver Rezipient zufrieden und will in Dialoge eingebunden werden. Bereitwilligst wird dem Rechnung getragen: kein Artikel mehr ohne Kommentarfeld, keine Äußerung mehr ohne einen Schwall von Gegenäußerungen. Alles und nichts schwemmt dieser Fluss an Informationen in ein riesiges Meer, das sich manchmal dann zu Empörungs- und Beleidigungswellen auftürmt. Hinter der Anonymität des Internets verstecken sich die Urheber des Shitstorms, die zu allem eine Meinung, aber kaum jemals fundiertes Hintergrundwissen haben.
Mit dieser unschönen Kehrseite der schönen neuen Welt der Informationsvielfalt und unbeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten befasst sich Arno Frank in seinem Essay Meute mit Meinung. Über die Schwarmdummheit. Das Internet habe eine neue Form der Leserschaft hervorgebracht, so Frank. Als Journalist beobachtet der Autor, dass jeder Artikel, jede öffentliche Bekundung postwendend einen digitalen Schwarm nach sich zieht, der sich ohne langes Nachdenken in den Text verbeißt und in seiner Entrüstung nicht selten die Grenzen des Anstands überschreitet.
Von der vielgerühmten Schwarmintelligenz hält der Autor rein gar nichts. Das macht schon der Untertitel des kleinen Büchleins klar. Dass die Menschenmasse in der von ihm beschriebenen Ausprägung das Schlechteste hervorbringt, daran zweifelt auch niemand. Bei all der eigenen Empörung, die Frank ob der »Besserwisserei, Beleidigungen und Bedrohungen« an den Tag legt, bleibt leider der differenzierte Blick auf die Menschenmassen, die sich im Internet tummeln, auf der Strecke. Nie wurde behauptet, dass der Schwarm immer und in jeder Situation intelligent ist. Dass die Vernetzung und das Zusammenbringen der Massen verschiedenster Menschen im Internet auch allerhand Intelligentes hervorbringen kann, dazu reicht der bloße Hinweis auf Wikipedia. Vom irreführenden Untertitel des Essays abgesehen, bietet Arno Franks kritische Auseinandersetzung mit Shitstorms, Flashmobs und anderen Phänomenen der digitalen Meute einen durchaus lesenswerten Blick auf die Schattenseiten der digitalen Revolution.
Quelle: http://www.perspektive-blau.de/buch/1306b/1306b.htm
Ihr Reinhard Göddemeyer
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